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veröffentlicht in der Zeitschrift "Lichtwolf" Nr 28: "Und dann explodiert alles", Dezember 2009

Und alles explodiert – eine Schreiblehre

 

Buchstaben sind nicht eindeutig gesetzt. Sie bieten einen breiten Interpretationsspielraum. Am Beispiel des aktuellen Titels des Lichtwolfs lässt sich das schön zeigen:

 

Und alles explodiert: Und

 

Das u zu Beginn ist ein kurzer Vokal, der sich von dem lang gesprochenen Vokal u unterscheidet, den wir im Ohr haben, wenn wir den Buchstaben u denken. Der Buchstabe u repräsentiert grundsätzlich die beiden Formen des u, das kurze und das lange, zum Beispiel lang in Ruhe und kurz in Rummel.

Beide Formen des Vokals sind aber nicht nur durch ihre Quantität unterschieden, sondern auch durch ihre Klangfarbe. Beim langen u in Ruhe sind die Lippen mehr gespitzt als beim kurzen in Rummel, das lange u tendiert mehr zum benachbarten Klang des ü, das kurze u in Rummel hingegen wandert in die Nähe o. Rummel liegt näher bei Rommel als bei Rümmel. Das könnte egal sein, wenn nicht beim Ausgangspunkt des Wörtchens und eine Fehlerschreibung naheliegt, nämlich ond! Schüler schreiben nie versehentlich ünd, sehr wohl verfallen sie auf ond, wenn sie das Wort nach dem Laut wiedergegeben wollen und sich die Buchstabenfolge anfangs noch nicht eingeprägt hat.

Aufgrund des im Kontext unbetont erscheinenden und (lieben und hassen, lachen und weinen), kann die lautliche Analyse, die das u zur Folge hätte, schon mal daneben gehen. Man kann gerne selbst die Probe machen und unbetont o lesen, dem Verständnis tut das keinen Abbruch (lieben ond hassen, lachen ond weinen). Hinzu kommt die umgangssprachliche Verschleifung mancher Laute und die Prägung durch den Dialekt, der abgesehen von Nachrichtensprechern und Menschen mit Schauspielausbildung, alle zu regional gebundenen Sprechern macht.

Das bedeutet aber: Das geschriebene Wort kann nicht sicher von der Lautform abgeleitet werden. Mit dem Schreiben muss zugleich ein standardisiertes Sprechen gelernt werden, das in unserem Fall und, anstelle des abweichenden ond heißt.

Wäre das Wort nicht festgelegt und noch frei nach der Lautform konstruierbar, könnte die Schriftform sogar auf den Vokal zu Anfang verzichten und und einfach durch nd ersetzen, denn der Vokal ist im normalen Redegebrauch sehr reduziert und wird zwischen den betonten Wörtern im Satz regelrecht abgerieben. Andererseits hat das Wort und, wenn man es allein und für sich spricht, einen weiteren, nicht aufgeschriebenen Laut vor dem u, den sogenannten Knacklaut, mit dem Worte intoniert werden, die mit Vokal beginnen. Die Phönizier, die die ersten waren, die mit reiner Buchstabenschrift schrieben, habe diesen Knacklaut mit dem Aleph bezeichnet, dem Stierkopf, aus dem später im Griechischen das Alpha wurde, und schließlich bei uns der Buchstabe a. Die Bezeichnung des Knacklautes ist dabei verloren gegangen. Wollten wir korrekt das Wort und mit Knacklaut aufschreiben, so müssten wir etwa a’und schreiben, wobei das a mit Apostroph das Aleph darstellen soll.

Nun ist in unserem Schreibsystem der Knacklaut nicht notiert, müsste aber, bei lautlicher Korrektheit, aufgeschrieben werden. Das u in und ist nur dann korrekt, wenn das und eben auf u und seinen Laut hin definiert wird, anstelle des möglichen o. Drittens könnten der Vokalbuchsstabe u/o wie der Buchstabe für den Knacklaut ganz verschwinden, wenn man die Schreibweise des Wortes nicht nach seinem einzelnen Gebrauch, sondern nach seiner lautlichen Erscheinung im Satz definieren wurde, reduziert auf ein gesummtes nd. So viele Möglichkeiten gibt es!

Darüber hinaus besteht die Wahl zwischen Klein und Großschreibung am Wortanfang. In diesem Fall steht das und, was selten geschieht, am Satzanfang, muss also groß geschrieben werden: Und alles expodiert.

Zum Glück ist der zweite Buchstabe, das n in und, eindeutiger zu setzen. Das n hat wie das u zwar eine andere mögliche lautliche Bedeutung, zum Beispiel in sinken, wo es hinten am Gaumen artikuliert wird, anstatt mit der Zungenspitze vorn. Es kann zudem in der Kombination mit g einen eigenen Laut bezeichnen, wie in singen. In der Lautsprache gibt es das Zeichen [ŋ] dafür, das die Verbindung zwischen n und g graphisch zeigt.

Die im Schriftsystem mehrfache Verwendung des Buchstaben n beeinflusst aber nicht seinen Auftritt im Wörtchen und. Es steht nämlich nichts anderes zur Wahl, außer vielleicht das m in der seltenen Fehlerschreibung umd. Die Buchstaben m und n sind häufig nicht eindeutig zu unterscheiden, wenn man die gehörte Grundlage nimmt, insbesondere im Ausklang von Verben der Grundform, zum Beispiel geben. Gesprochen wird geb’n oder geb’m, mit also ganz reduziertem Vokal e und einer Mundbewegung von n bis m, je nach Sprecher. Im Wörtchen und spielt das Problem keine große Rolle, also bleibt es bei n.

Doch muss noch ein Zusatz gemacht werden. In der Regel sind im Deutschen nach kurzem Vokal die Konsonanten zu verdoppeln. Es heißt rennen und Mann, und davon abgeleitet gerannt und entmannt. Also könnte theoretisch das Wörtchen und auch unnd geschrieben werden – wobei die falsche Analyse unnt ergeben könnte, also mit t, vergleiche rennt. Die vorliegende Lautform erlaubt das. Nur die richtige Wortkenntnis, also das Wissen, dass keine gebeugte Verbform vorliegt, sondern ein eigenes Wort, verhindert den doppelten Buchstaben n.

Das d am Ende von und hat die Fachleute seit langem verwundert, denn es müsste nach allen Regeln der Buchstabenverwendung eigentlich t heißen, also unt geschrieben werden. Man vergleiche ant in Antwort oder ent in entgehen. Hier folgt das t nach der Buchstabenregel, denn der stimmlose Dentallaut t ist mit t zu bezeichnen, der stimmhafte Dentallaut d mit d.

Das d darf nur dann an der Stelle des stimmlosen t stehen, wenn ein Wort unterschiedliche Ausspracheformen hat. Die Innenstellung des Lautes entscheidet über die Schreibweise. Bad wird wegen der mit d geschrieben, Tat wegen ter mit t. Dem Schulkind wird darum die Regel beigebracht, ein Wort zu verlängern (Rat – raten; Rad –Räder ), um herauszufinden, ob mit d oder t geschrieben wird. Übrigens gilt das Gleiche für b/p und g/k.

Nun gibt es aber keine Verlängerung für und. Es müsste darum unt geschrieben werden. Im Mittelhochdeutschen hieß es einmal unde, so dass die Kurzform und historisch erklärbar ist, doch hilft das keinem der aktuellen Schüler. Natürlich schreiben diese, wenn sie es falsch schreiben, fast immer unt – und damit eigentlich richtig.

Eine weitere Möglichkeit gibt es theoretisch, das dt. Warum sollte und, wenn es schon regelwidrig mit d geschrieben werden muss, nicht auch mit dt geschrieben werden können, wie zum Beispiel Stadt oder beredt? Es könnte also auch undt heißen, und das würde keinen stören, der immer so hätte schreiben müssen.

 

Und alles explodiert: alles

Das Wort alles beginnt wieder mit einem kurzen Vokal, diesmal dem kurzen a. Wieder wird der Knacklaut vor dem kurzen Vokal gesprochen, aber nicht notiert: Der Leser muss also das Wort mit Knacklaut kennen, damit er es, in seiner vorliegenden alphabetischen Form, richtig dechiffriert. Ebenso muss er wissen, dass der Vokal a im Wort kurz zu sprechen ist, nicht wie zum Beispiel in Atem lang. Richtig ist, dass der Buchstabe a im Wort alles kaum zur Debatte steht; er wird immer gesetzt – es sei denn, jemand käme auf die Idee das englische u, gesprochen a wie in Butler einzusetzen. Dann wäre das Wort alles als englisches Lehnwort verstanden worden und würde tatsächlich ulles geschrieben. Die Deutung liegt in der Ferne, gleichwohl ist sie denkbar.

Die Markierung des kurzen Vokals in alles erfordert im Deutschen regulär den zweiten Folgekonsonanten, weshalb hier das l verdoppelt wird, obwohl es selbst nur einmal zu hören ist. Das führt natürlich zu mehreren Fehlerideen, die alle ihren Reiz haben. Zunächst verzichten Schüler gern auf die reguläre Markierung mit dem zweiten Folgekonsonanten, wenn nur einer hörbar ist. Sie schreiben ales, statt alles. Analog schreiben sie auch überal und Bal oft ohne zweiten, ohne den doppelten Konsonanten. Es gibt ein Argument, die Verdoppelungsregel nicht anzuwenden oder darüber verunsichert zu sein, denn eine Reihe von Wörtern wird ohne doppelten Konsonanten geschrieben, trotz vorhergehenden Kurzvokals.

Zunächst gibt es das bei den Funktionswörtchen im Satz, den sogenannten grammatischen Worten, die sich leicht auch als Wortteile verwenden lassen, zum Beispiel bis, an, ab, im, in, es, das, des usw. Zum zweiten sind das Lehnworte aus dem Englischen, die ebenfalls einsilbig auftreten: Bus, Job, Club.

Beide Wortgruppen haben gemein, dass sie, falls sie in zweisilbiger Form auftreten, dennoch der Verdoppelungsregel folgen. Es heißt innen (nach in), dessen (nach des), Busse (nach Bus) und jobben (nach Job). Die Verdoppelungsregel greift also konsequent bei zweisilbigen Formationen, wenn die erste Silbe betont ist und einen Kurzvokal enthält. Bei den deutschen Vollworten wird die Verdoppelung auch in die einsilbige Form übertragen (Bälle-Ball). Im vorliegenden Fall von ales wird von den Fehlerproduzenten eben umgekehrt übertragen: von der einsilbigen Form, die ohne Verdoppelung gedacht wird, auf die zweisilbige, auch ohne Verdoppelung.

Häufig sind darum auch die Fehlerformen inen und desen statt innen und dessen. Dabei wird ales also Funktionswort verstanden, mit einer entsprechenden Grundform al. Die Schüler überblicken hier nicht, dass alles tatsächlich ein Vollwort ist, wie zum Beispiel das Nomen All beweist.

Ein zweites kommt hinzu: Wenn grammatische Worte zusammengesetzt werden, also als Bausteine für Vollworte gebraucht sind, dann bleiben sie in ihrer einfachen Substanz erhalten, zum Beispiel bei unausprechlich. Hier tritt die Verdoppelungsregel also nicht in Kraft, obwohl die erste Silbe un betont und die darauf folgende Silbe au unbetont daherkommt. Konstruierbar wäre lautlich auch unnausprechlich. Sieht ein Schüler das Wort alles als eine theoretische Zusammensetzung von al (als Funktionswort ohne Verdoppelung) und es, dann ergibt sich logisch ales – nicht alles. Zum Vergleich kann man an die Zusammensetzung heraus denken, die oft falsch mit doppeltem r geschrieben wird (herraus), weil man die Wortfügung aus her und aus nicht erkennt.

Drittens sind Fremdworte nicht regelhaft mit verdoppeltem Konsonanten nach kurzem Vokal geschrieben: Beispiele dafür sind die Katastrophe (nicht Kattastrophe), der Anorak (nicht Annorak) und die Kaputze (nicht Kappuze). Es gibt also auch Worte mit mehr als einer Silbe ohne Konsonantenverdopplung. Dass die genannten Beispiele extra abgesetzte Fremdworte sind, muss man erst einmal wissen, um es sich zu erklären.

Bis hierhin zeigt das, dass für die sichere Schreibung von alles mit doppelten l tatsächlich nicht nur Regelbewusstsein, sondern echte Wortkenntnis vonnöten ist. Das Wort ist nicht fehlerlos zu konstruieren, wenn man es selbst oder seine Zusammenhänge im Wortschatz nicht kennt.

Die Markierung des kurzen Vokals durch Doppelkonsonanz ist auch fehleranfällig, weil nach der maßgeblichen Grundregel, dass zwei (unterschiedliche) Konsonanten den vorhergehenden Vokal als kurz kennzeichnen, auch das h einsetzbar wäre. Das h hat aber eine gesonderte Bedeutung und tritt gegenteilig als Markierung des langen Vokals auf. Das verwirrt viele und so gelangt man zu Fehlerschreibungen mit h für den kurzen Vokal, in diesem Fall zu ahles, statt alles.

Die Endsilbe es von alles weist einen reduzierten Vokalbuchstaben e auf, den die Fachleute Schwa nennen. Er wird nur kurz gestöhnt. Dass er regelmäßig in allen Nachsilben als voller Buchstabe zu sehen ist, ist einer Schreibkonvention geschuldet, die die Nachsilben mit Hilfe des e sichtbar macht und erst als eigene Silbe ausformuliert. Lautlich wäre hier auch das unbetonte ö für e denkbar – oder das Wegfallen des e wie in Dirndl.

Das s wird im Auslaut von alles stimmlos „scharf“ gesprochen, aber nicht mit ß oder doppeltem ss  geschrieben. Als Lernender soll man darauf achten, warum und wann s, ss und ß geschrieben wird – für den gleichen Laut, wobei das s auch noch für sch stehen kann (in st und sp wie in Stein und Speer) und der stimmlose s-Laut in anderer Kombination auch noch durch die Buchstaben x (ks) und z (ts) repräsentiert werden kann.

Eindeutig wird das s nur durch die Schreibweise nach der Kenntnis des Wortbestandteils, also in diesem Fall der Nachsilbe, die im Auslaut eben mit einfachem  s geschrieben wird.

 

Und alles explodiert: explodiert

Das Wort explodiert hat eine Reihe von Schreibvarianten, die sich so ausnehmen: Am Anfang kann für das e lautlich auch ä stehen, wie in Äxte, wo das Ä vom A in Axt abgeleitet ist. Ob im Fall von explodiert auch eine Verwandtschaft nach a vorliegt, kann man nur entscheiden, wenn man das Wort in seinen Zusammenhängen kennt.

Das x könnt ks geschrieben werden wie in Ekstase. Das p wird häufig mit dem b vertauscht, weil besonders im Süddeutschen die Unterscheidung von p und b lautlich nicht möglich ist, da dort immer stimmhaft b gesprochen wird. In den nördlicheren Regionen Deutschlands fällt die Unterscheidung aber auch nicht leicht, denn das l, das hier auf das p folgt (explodiert ), schwächt den stimmlosen Plosivlaut p ab. Das l ist immer stimmhaft artikuliert und also wird im gesprochenen Wort die Lautfolge unsicher, die Grenzen sind verwischt – b könnte auch passen. Dafür ist das l selbst leicht zu verstehen und kaum fehleranfällig. Das o wieder wird manchmal nach u hin gehört und dann so geschrieben (expludiert) – wie gesagt, das regionale Sprechen bringt eine Reihe von Varianten mit sich, die das regelgeleitete Schreiben erschweren oder unmöglich machen.

Eine Missachtung einer Regel wäre das falsch eingesetzte h zur Bezeichnung des Langvokals o, so dass es explohdiert hieße. Die Fehlerform kommt gleichwohl vor, weil die Regel mit dem sogenannten Längen-h kompliziert ist – das h steht nach betontem Langvokal vor l, m, n, r, aber nicht immer. Nie steht es nach betontem Langvokal vor b, d, f usw., weshalb hier also der Fall klar ist: ein h darf nicht stehen. Aber welcher Schüler kann sich diese komplexe Regel sicher merken und hat sie bei der Anwendung parat?

Wenn wir das d in explodiert ohne große Diskussion stehen lassen, so muss doch die Nachsilbe mit ie erstaunen. Die Schüler schreiben sie oft ohne e, also explodirt, studirt, garnirt usw. Diese Schreibweise war bis zur ersten Rechtschreibreform 1902 gültig und entspricht der Buchstabierung anderer fremder Nachsilben auf i: Gardine , Markise . Die Nachsilbe ieren wurde ursprünglich aus dem Französischen übernommen und mit der Reform von 1902 auf das deutsche ie gebracht. Das kann natürlich keiner wissen, der die Silbe selbst konstruieren soll.

Bleibt also festzuhalten, dass die meisten Buchstaben in explodieren gekannt werden müssen, damit das Wort sicher richtig geschrieben wird: e statt ä, x statt ks, p statt b, o statt oh, ie statt i. Hinzu kommt die Nachsilbe en, die mit e geschrieben wird, obwohl das e gar nicht richtig ausgesprochen wird.

Das bedeutet: Nur Wortkenntnis macht richtiges Schreiben – Regelkenntnis ist unsicher und führt vielfach zu Fehlern. Die Amtliche deutsche Rechtschreibung geht von einer falschen Grundlage aus: „Die (regelgeleitete) Zuordnung von Lauten und Buchstaben soll es ermöglichen, jedes geschriebene Wort zu lesen und jedes gehörte Wort zu schreiben“ (S.7).

Das funktioniert nicht.

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26.04.2024 - 13:37:26 | Warum Lautschreibung nicht funktioniert