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Lautschreibung
Die heutige Didaktik des Rechtschreibens sieht vor, Laute zuzuordnen und dann mit Hilfe von Regeln die Schreibweisen zu differenzieren. Im Vorwort der Amtlichen
Regelung der deutschen Rechtschreibung
ist das so ausgedrückt: „Die (regelgeleitete) Zuordnung von Lauten und Buchstaben soll es ermöglichen, jedes geschriebene Wort zu lesen und jedes gehörte Wort zu schreiben.“
Ich bin der Überzeugung, dass Lautschreibung nicht zur sicheren Schreibweise des einzelnen Wortes führt, auch wenn man Regeln anwendet. Es bleiben fast immer Buchstaben zur Wahl, so dass man das Wort kennen muss, um es sicher richtig zu schreiben. Wenn sowieso die Wortkenntnis am Ende des Schreibprozesses liegt, dann sollte sie die ganze Zeit das Schreibenlernen begleiten, ja der Kern sein.
Lautgerecht ist zum Beispiel Mama
. Die Buchstaben m
und a
entsprechen einfach den gesprochenen Lauten. Dennoch gibt es in der Schule die Fehlerschreibung Mamma
. Wie kommt es dazu? Da spricht ein Kind Mama
schnell aus, also Mamma
, und gelangt zur fehlerhaften Schreibweise.
Versuchen wir es mit Oma
. Das hört sich noch klarer nach lautgerechter Schreibung an – bis uns das Ruhrgebiet einfällt, wo die Leute Omma
sagen.
Lautgerechte Schreibung gibt es also schon deswegen nicht, weil die Menschen regional und sogar familiär unterschiedlich sprechen. Ich meine damit nicht das Sprechen von Dialekten. Ich meine das Aussprechen nach der Schriftsprache, der allgemeinen Hochsprache. Die Norddeutschen lächeln, wenn ein Bayer angeblich hochdeutsch spricht. Aber selbst sprechen sie auch nicht genormt, sondern in norddeutschen Varianten das Hochdeutsche aus. Das Erlernen einer Standardlautung, wie es in der Amtlichen Rechtschreibung vorgeschlagen wird, funktioniert nicht so einfach.
Am reinsten sprechen Nachrichtensprecher oder Schauspieler, nach jahrelangem Training, aber das ist nun wirklich die Minderheit. Es kann also keine lautgerechte Schreibung geben, da die Schrift einheitlich ist, die Aussprache aber nicht.
Aber selbst die normgerechte Aussprache eines Nachrichtensprechers bringt keine eindeutige Zuordnung von Buchstaben mit sich: Brennen
könnte auch brännen
geschrieben werden (von Brand
). Planen
könnte plahnen
geschrieben sein (analog zu mahnen
). Reis
könnte Reiß
heißen (wie Fleiß
). Diese Worte werden häufig falsch geschrieben. Sie lassen sich nicht auf regelgerechte Schreibung
zurückführen; wir müssen die Worte kennen.
Rückführbar auf Regeln, aber gleichwohl verwirrend sind die Fälle, in denen die Regelschreibung mit der Lautschreibung kollidiert, namentlich wenn die sogenannte Stammschreibung die Regie im Wort übernimmt. Die Verbform musst
kommt von müssen
, und wird deswegen mit zwei ss
geschrieben. Eigentlich reicht st
(must
), denn der Laut ist eine Zusammensetzung aus s
und t
. Wir artikulieren nicht zwei s
hintereinander, sagen nicht etwa mus-sten
.
Wenn wir die Buchstaben 1 zu 1 als Laute umsetzen, dann ist die Schreibweise mussten
nicht lautgerecht. Die Buchstaben ss
haben hier eine Bedeutung, die nicht mit der direkten Lautung zu tun hat. Das s
ist verdoppelt, nicht weil es doppelt gesprochen würde oder eine Langform des s
zu hören wäre („musssssten“
), nein das doppelte s
bezieht sich auf etwas ganz anderes, nämlich auf die Aussprache des Vokals in der Grundform des Wortes. Das ü
in müssen
ist kurz, nicht lang. Ein langes ü
würde in der Grundform müsen
geschrieben; und dann würde des s
auch anders gesprochen, nämlich weich.
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Wenn ich jetzt sage: Du
musst
, so übertragen sich die zwei s
aus der Grundform in die konkrete grammatische Form (müssen
musst
) und sie brechen damit die schöne Zuordnung von Laut und Buchstabe, die das Wort mit einem s
gehabt hätte. Die richtige Schreibweise musst
informiert uns dabei darüber, dass das Grundwort, von dem es abstammt, mit kurzem Vokal und das s
dabei scharf gesprochen wird. Diese Information zum eigentlichen Wort zerstört die Lautgerechtigkeit, die wir bei Buchstabenverwendung zunächst angenommen hatten.
Es zeigt sich hier, dass es der Schrift im ausformulierten Fall mehr um die Wortinformation geht als um die Lautinformation. Wir müssen uminterpretieren und etwas überhören, um diese Schreibweise zu verstehen. Wir tun das dem eigentlichen Wort zuliebe.
Das bedeutet, wenn die Lautschreibung möglich wäre, weil alle Leute gleich sprächen, so würde sie sich immer noch auf einen schmalen Schatz von Grundworten beziehen. Alle veränderlichen Worte, nicht nur die Verben, weisen an den Schnittstellen Buchstabenfolgen auf, die die Gesetze ins Gegenteil verkehren.
Die Buchstaben werden dann anders notiert. Aus b
wird in der Aussprache oft p
(Grab
), aus d
wird t
(Rad
), aus g
wird k
(Tag
). Der Zweifachvokal eu
kann äu
geschrieben werden (Gebäude
). Die Gründe dafür liegen wieder beim Erkennungswert der Worte. Grab
passt zu Gräber
, Rad
zu Räder
, Tag
zu Tage
und Gebäude
zu Bau
.
Zum Schluss kommt heraus, dass zunächst das Wichtigste der Schreibung, die Zuordnung der Laute zu Buchstaben, umgedreht, verwässert und durcheinander gewürfelt wird, um die verschiedenen Formen, in denen Worte auftreten, dem jeweiligen Grundwort zuzuordnen oder ihre Verwandtschaft zu zeigen. Die Schüler müssen nach einer Weile die Basis, die sie gelernt haben, lautgerechtes Schreiben, nicht nur verlassen, sondern zertrümmern. Sie dürfen nur noch an das Wort, nicht mehr an den Laut denken. Warum lernen sie also nicht sofort in Worten denken und schreiben, anstatt in Lauten, um dann eine Kehrtwendung vorzunehmen? Denn damit ist die Irritation vorprogrammiert.
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