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Die Idee der Buchstaben

Buchstaben sind Unterscheidungszeichen. Alphabetische Schreibung markiert die Worte an ihrem Unterschied, nicht an ihrem Sinn. Buchstabenworte brauchen nur an einer einzigen Position anders auszusehen, schon ist die Bedeutung eine vollständig andere:

Wagen

Waden

Baden

Boden

Der Wechsel des Buchstabens, g zu d, w zu b, a zu o, schafft jedes Mal ein neues Wort. Die Buchstaben haften also nicht am Sinn wie die logografischen Zeichen. Das Wort wird nicht am logografischen Zeichen identifiziert, also für sich selbst gesehen, sondern am Buchstaben unterschieden, also im System erkannt und abstrakt erschlossen.

Die Idee des Buchstabens macht sich dabei zunutze, dass gesprochene Worte Lautgebilde sind. Die Lautgebilde sind nicht vom Sinn vorgegeben. Sie verändern sich im Laufe der Zeit, gleiche Worte werden anders ausgesprochen. Das gilt zeitgleich auch regional und noch mehr für unterschiedliche Sprachen. Zum Beispiel heißt es im Deutschen Hund, im Englischen dog und im Französischen chien.

Die Lautgebilde sind also relativ und nicht von der konkreten Wortbedeutung vorgegeben.

Also muss auch das grafische Gebilde für ein Wort nicht vom Sinn vorgegeben werden oder eine Darstellung der Bedeutung sein. Das ist die erste Voraussetzung für eine Schreibweise mit Alphabet.

Die lautliche Form von Wörtern ähnelt sich oft, bezeichnet aber dennoch ganz unterschiedliche Bedeutungen. Wenn man sich zum Beispiel verspricht, wird aus einem Wort Geist Geiz oder aus Hunger Hummer. Der Austausch von Lauten kann neue Worte schöpfen. Also sind die gesprochenen Worte aus Lauten zusammengesetzt, keine fest verschmolzene Lauteinheit. Das ist die zweite Voraussetzung für alphabetisches Schreiben.

Der Buchstabe ist das Resultat dieser Erkenntnisse: Schriftliche Zeichen müssen keine Ableitung von der Bedeutung sein und sie können aus Kleinteilen zusammengesetzt sein. Wörter können durch den Austausch von Kleinteilen identifiziert werden. Es braucht kein Symbol; keinen direkten Bezug zum Sinn eines Wortes. Ein Schema zur Unterscheidung reicht.

Das erste entwickelte Alphabet wurde von den Phöniziern seit dem 11. Jahrhundert vor Christus benutzt. Es war ein Konsonantenalphabet und ähnelt in dieser Weise den Lautzeichen der Ägypter, die diese aus den reinen Bildbedeutungen der Hieroglyphen entwickelt hatten. Auch hatten die Buchstabenzeichen einen bildlichen Hintergrund, sind also wahrscheinlich aus begrifflichen Zeichen entwickelt worden. Das A – bei den Phöniziern noch kein Vokal – könnte z. B. eine stilisierte Darstellung eines Stierkopfes gewesen sein, wobei man den Buchstaben in die ursprüngliche Position drehen muss, um die Hörner nach oben zeigen zu lassen. Der Buchstabe hieß Aleph, was tatsächlich Stier oder Rind bedeutet.

Diese ursprüngliche bildliche Herkunft ist inzwischen vollständig verloren gegangen. Schon die Griechen, die das Alphabet um die Vokale ergänzten und damit vervollständigten, verbanden mit dem Alpha nicht mehr den Stier oder Ochsen, sondern einfach den Namen. Die Buchstabennamen Alpha, Beta, Gamma, Delta usw. enthalten jeweils am Anfang den gemeinten Buchstaben und Lautwert. Mit dem Namen merkt man sich den Buchstaben, mehr Sinn steckt nicht mehr dahinter.

Heute scheint die Benennung noch mehr reduziert und auf die Buchstaben selbst beschränkt zu sein. Wir sagen a, b, c, d usw. Wenn wir genau hinhören, erkennen war aber, dass es bei Buchstabennamen geblieben ist, wenn auch in Kurzworte gefasst. Wir sprechen kurze Worte, wenn wir die Buchstaben im Alphabet nennen: Aa, Beh, Ceh, Deh, Eh, Eff, Geh, Hah, Ih, Jott, Kah, Ell, Emm, Enn, Oh, Peh, Kuh (qu), Err, Ess, Tee, Uh, Fau (v), Weh, Icks (x), Ypsylon, Tsett (z).

Unser Buchstabenverständnis kommt von dieser Aufzählung her; eigentlich merken wir uns die Buchstaben als Worte bzw. an ihrem Namen, denn die einzelnen Unterscheidungszeichen im Wort kann man gar nicht aussprechen. Wie das?

Jeder Konsonant braucht zur Intonation einen Vokal, entweder einen langen wie zumeist im Alphabet, zum Beispiel Beh, Ceh, Deh, oder einen kurzen, wie in Eff, Emm, Enn.

Konsonanten brauchen also einen Vokal vorher oder nachher, um gehört zu werden. Anders gesehen, kann man Vokale als Anhängsel von Konsonanten verstehen; sie stellen den stimmlichen Aufwand dar, den ein Sprecher benötigt, um einen Konsonanten zu formulieren. Zumindest scheinen die alten Ägypter und die Phönizier das so gesehen zu haben, als sie darauf verzichteten, den Vokalen eigene Zeichen zu geben.

Wir können ohne vokalischen Anklang keinen Konsonanten erfassen und artikulieren. Man kann gerne die Gegenprobe machen. Die Buchstaben r, f, l, m, n usw. kann man ohne Vokal anstoßen. Dann entsteht aber nur ein unbestimmter Laut: rrr, lllll, mmm, der von uns nicht als Buchstabe verstanden wird, denn die Beziehung zum Wort oder der wortähnlichen Zusammenhang fehlt.

Die Buchstaben p und t kann man ohne Stimme anstoßen, damit der Vokal wegfällt, aber dann ergibt sich der gleiche Effekt, die Laute verlieren ihre buchstäbliche Bedeutung. Geschrieben würden sie vielleicht so: p-h, t-h.

Die Laute der einzelnen Buchstaben erinnern also nicht an Worte, sondern an tonloses Flüstern oder sinnloses Summen. Die gesprochenen Buchstaben aber sind wie Wortteile verfasst, in der Kombination von Vokal und Konsonant. Sie drücken damit ihre Verbindung zur wörtlichen Formulierung aus, ihre Abstammung, auch wenn sie den einstmals konkreten Wortsinn verloren haben, von dem sie abstrahiert wurden.

Das gilt auch für die Vokalbuchstaben. Sie werden im Alphabet als Langvokale ausgesprochen, aber es gibt sie in Wörtern auch in eine Reihe von Kurzvarianten. Einzeln gesprochen würden die Kurzvarianten nicht nach Wörtern klingen, sondern nach Äußerungen, wie sie Affen hervorbringen: uhh – uhh – ahh.

Buchstaben können also nicht als einzelne Laute verstanden werden. Sie sind nicht auf der Lautebene zu isolieren, sondern auf der Wortebene zu integrieren. Buchstaben sind Wortteile, schematische Glieder zur Zusammensetzung einer Wortgraphik. Wir geben ihnen Namen, um sie einzeln bezeichnen zu können, aber sie haben einzeln keine Realität, auch keine lautliche. Ihre Praxis ist die Verwendung im Wort.

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25.04.2024 - 19:10:51 | Warum Lautschreibung nicht funktioniert